Die Veröffentlichung des hierin enthaltenen Schaltbildes aus einem Elrad-Artikel geschieht mit
ausdrücklicher Erlaubnis des Authors, Herrn Gerhard Haas, Fa.
experience-electronics
Irgendwann im Jahr 2003 ging mein Spielzeugverstärker kaputt. Das war eine 2 x 50 W Endstufe gehobener Qualität,
und der Schaden trat im Bereich des Softstarts für den 1200 W Ringkerntrafo auf. Ich habe den schadhaften Triac ersetzt,
was auch einige Wochen hielt. Danach verbrauchte der Verstärker wieder rund um die Uhr Strom und machte auf diese Weise
den örtlichen Energieversorger glücklich.
Genau am Tag des zweiten Schadens entschied ich, dass es Zeit sei, einen neuen Verstärker zu bauen, was sich in Folge
über zwei Jahre hinzog, womit der ursprüngliche Terminplan um den Faktor 2 überschritten wurde.
- es war klar dass der neue ein Röhrenverstärker sein musste
- es war klar, dass der neue mehr Leistung haben musste als der alte
- es war klar, dass der neue ein herausragendes Design bekommen sollte
- es war klar, dass der Neue eine relatives (!) Low-Cost-Projekt werden sollte.
Aus diversen - rational wenig nachvollziehbaren Gründen - fiel die Wahl auf die 1988 in der Zeitschrift ELRAD
vorgestellte Schaltung eines 2 x 120 W PPP Verstärkers. Damals saß ich wochenlang träumend vor der Zeitung
und es fehlte am Geld. Jetzt sollte es sein.
Als hemmend identifiziert wurden die Frau und die drei Kinder...
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Nach einer dreimonatigen Planungsphase, die ich vor Frau und Kindern geheim hielt, in der ich den Schaltplan geringfügig
überarbeitet habe, folgt die Beschaffungsphase für die wichtigen Bauteile. Diese zog sich über einige Monate
hin, da ich aus Prinzip nicht einfach alles im Laden kaufen wollte. Da war ja noch dieser Low-Cost Gedanke.
- Die Edelstahlplatte für den Aufbau besorgte der Cousin meiner Frau zusammen mit einigen anderen Edelstahlplatten,
die anderweitig benötigt wurden, zum Kilopreis aus dem Schrott. Edelstahl sollte es sein, weil Aluminium ja jeder kann
und ich persönlich die aufgepimpten Vollchromdinger etwas aufdringlich finde. Matt polierter Edelstahl hat aber eine
wunderschöne Farbe und spiegelt trotzdem leicht den Schimmer der Röhren.
- Siebelkos für das Netzteil, Röhren und Sockel habe ich im Internet ersteigert, was einige Zeit in Anspruch
nahm.
- Ausgangsübertrager, gewickelt von Gerhard Haas (Experience electronics), (die Originale zu dem ELRAD-Artikel)
habe ich ebenfalls bei einer Internetauktion deutlich unter Neupreis finden können. Ein Glückstreffer.
- Widerstände und Kondensatoren fanden sich zu einem Teil in meiner Sammlung, zum Teil habe ich sie neu gekauft.
- Die Netztrafos habe ich bei Baule wickeln lassen, nachdem die monatelange Suche nach verwendbarem Kernmaterial auf
Schrottplätzen und in Internetauktionen ergebnislos verlaufen war. Ich hatte die Nerven verloren und wollte endlich
loslegen.
- Da aus ebenfalls rational nicht nachvollziehbaren Gründen die Verdrahtung fliegend erfolgen sollte, kaufte ich
auch die Lötleisten neu.
Es folgte eine mehrwöchige Zeichnungsphase, in der ich mit dem Freeware-CAD-Programm CADSTD einen ersten Entwurf
für den Bohrplan der Edelstahlplatte erstellte. Dieser erste Entwurf zeigte eine Verstärker von 100cm Breite und
65 cm Tiefe, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erhebliche Dissonanzen in die bestehende Ehe eingebracht
hätte (nichtharmonische Verzerrungen im zweistelligen Prozentbereich, gut hörbar auch für das ungeschulte Ohr).
Da die Abmessungen weniger in der Performance des CAD-Programms zu suchen waren als in der Erfahrung des Zeichners mit
demselben und der im ersten Ansatz angstgetriebenen Platzierung der Komponenten, folgte eine grundlegende Überarbeitung
des mechanischen Entwurfs, wobei sich die Vorzüge des CAD massiv zeigten. Beliebiges Verschieben, Kopieren, Drehen,
etc. geht ohne jeden Aufwand und in kürzester Zeit. - Kann ich jedem ernsthaften Bastler für jedes Projekt nur
empfehlen.
Um die Edelstahlplatte nicht zu vergeigen wollte ich den Prototyp eines Kanals auf einer Kunststoffplatte aufbauen.
Diese habe ich angerissen und gebohrt.
Bis zu genau diesem Zeitpunkt, habe ich sämtliche Arbeiten durchgeführt, nachdem die Kinder im Bett waren und
meine Frau mit irgendetwas anderem beschäftigt war; im Schnitt so 10 Minuten am Tag. Entsprechend lang zog sich das hin.
Dann kam die Chance: die Frau ging drei Wochen in Kur und nahm zwei Kinder mit. Die älteste Tochter (damals 6 Jahre)
blieb bei mir. Nachdem ich sie abends um 7:30h ins Bett gebracht hatte, war Zeit zum Basteln.
Innerhalb einer guten Woche baute ich Netzteil und den einen Kanal als Prototypaufbau auf. Da ich alle Komponenten
sichtbar auf die Stahlplatte setzen wollte, die Elkos aber Schraubanschlüsse haben, hatte ich eine Polyamidplatte als
Isolation zwischen Stahlplatte und Elektronik vorgesehen. Da ich nicht wusste, wie lang die Elkos gelegen hatten, habe ich
die Betriebsspannung über einen Stelltrafo Netzseitig über 10 Stunden von 0 auf 240 V hochgefahren, um ein
Reformieren zu ermöglichen.
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Nach dem Aufbau der Schaltung habe ich alles dreimal durchgemessen, um bei den anliegenden Spannungen keinen riesigen
Schaden zu produzieren.
Dann kam der große Tag der ersten Inbetriebnahme. Mit einem Stelltrafo fuhr ich die Netzspannung langsam von 10 auf
230 Volt hoch. Die Stromaufnahme hielt sich in den erwarteten Grenzen. In der Eingangsstufe fand sich auch das anliegende
NF-Signal wieder. Am Lastwiderstand am Ausgang passierte nichts. Der Anodenstrom durch die Endstufen schwang mit etwa 0,5
Hz und in erheblichem Ausmaß.
Ausschalten, Bier trinken, und schlafen gehen.
Nachts kam dann die Erleuchtung. Aus welchen Gründen auch immer war im elrad-Artikel die Verbindung zwischen der
Mittenwicklung des Ausgangsübertragers und der Schaltungsmasse vergessen worden. Der Fehler sowie einige Punkte in der
Auslegung wurde in Elrad 4/1989 korrigiert. - Nicht jedoch die fehlende Verbindung zum Bremsgitter.
Der nächste Tag im Büro war die Hölle. Kaum hatte ich das verbliebene Kind im Bett, knallte ich die
fehlende Masse an den Übertrager, Strom dran und ... SIGNAL! Na, geht doch.
Im Folgenden zeigte sich dann, dass die gewünschte Ausgangsleistung allerdings bei weitem nicht erreicht wurde.
Viel mehr als 30 Watt an 8 Ohm waren nicht zu holen.
Erstaunen warf dann der Ausgangsübertrager auf. Bei 10 W Ausgangsleistung war der Frequenzgang von 20 Hz bis 20 kHz auf
+- 0,3 dB konstant. - Hochachtung an die Wickeltechnik von Herrn Haas!
Ebenfalls habe ich an diverse höher belastete Stellen der Schaltung Thermoelemente geklebt und Temperaturmessungen
gemacht. Dazu gehörten die den Röhren zugewandten Seiten der Siebelkos, die Anodenwiderstände der Endstufen,
etc. Alle Temperaturen sind zwar hoch, aber locker innerhalb der Spezifikationsgrenzen der Bauteilehersteller.
Die sichtbare Deformation der Kunststoffplatte des Prototypen (HDPS) zeigte die Grenzen des Material deutlich auf. Derartiges
Material ist nur für den vorübergehenden Gebrauch empfehlenswert.
Beim Aufbau hatte des Prototypen hatte sich gezeigt, dass ich auf einige Lötleisten verzichten konnte. Entsprechend
habe ich dann die CAD-Daten überarbeitet, um im nächsten Schritt die Edelstahlplatte anzugehen. Leider war zu
diesem Zeitpunkt die Kur meiner Frau beendet.
Das Anzeichnen und Bohren der Edelstahlplatte zog sich entsprechend über viele Wochen hin. Die Durchbrüche für
die Röhren habe ich mit einem Knacker (formal: Schraublochstanze) durchgezogen und auf Sockelnennmaß mit einem
Schälbohrer aufgebohrt, weil die Knacker leider einen knappen Millimeter zu klein sind.
Die Durchbrüche für die Trafos habe ich gebohrt und mit der Stichsäge ausgesägt. Umlaufend liegt die
Edelstahlplatte auf einem Rahmen aus Stahlprofilen auf, die mit vielen M3 Edelstahl Imbusschrauben angeschraubt sind. Die
Profile waren nötig, da sich die 2 mm Edelstahlplatte bei den schweren Bauteilen sonst merklich durchbiegen würde,
und die vielen Schrauben finde ich einfach schön.
An alle Besitzer von günstigem Werkzeug an dieser Stelle die dringende Empfehlung, beim Nachbau anstelle einer
Edelstahlplatte auf Aluminium auszuweichen. - Noch ein Tipp: falls Ihr nicht über ein Portalbohrmaschine verfügt,
schaut Euch vorher den Überhang eurer Ständerbohrmaschinen an und überlegt Euch, wie Ihr die Löcher in
die Mitte der Platte bekommt. Ich habe mir dazu eine Portalbohrmaschine gebaut.
Nachdem alle Durchbrüche und Löcher in der Platte drin waren, ging es an das Schleifen und Polieren. Ich habe die
Platte mit dem Bandschleifer bis 200er Korn geschliffen, anschließend mit einem Exzenterschleifer bis 600er Korn
geschliffen und dann mit Polierpaste aus dem Baumarkt poliert.
Nach dem Fertigstellen der Platte hab ich erst mal aus Item-Profilen einen Rahmen gebaut, in dem ich die Platte drehen konnte,
um von beiden Seiten elegant an die Bauteile ranzukommen.
Es folgte die Montage der mechanischen Komponenten. Dank präziser Planung und ordentlicher Arbeit beschränkte sich
der Einsatz der Schlüsselfeile auf marginale Korrekturen im Zehntelbereich.
Nun ging es an den Aufbau des zweiten Kanals, analog zum Prototypen. Dieser sieht, dank der Erfahrungen des Prototypen, noch
schöner aus als der erste. Trotzdem habe ich den Prototypen von seiner Kunststoffplatte abgenommen und eins zu eins auf
die Edelstahlplatte gesetzt, wie ich das bereits bei der Zeichnungserstellung geplant hatte. Hier siegte die Faulheit.
Um kurze Verdrahtungswege zu haben, habe ich alle Bauteile soweit möglich direkt verdrahtet und die Anschlussbeinchen
zur Vermeidung von Überschlägen in den kritischen Bereichen mit Schrumpfschlauch überzogen. Das hatte beim
ersten Kanal eine ganze Weile Puzzlearbeit bedeutet, bis ich ein optimales Konzept für die Verteilung der Bauelemente
gefunden hatte.
Bauelemente mit Experimentierpotential habe ich so auf die Lötleisten gesetzt, dass man ohne große Probleme
tauschen kann. Dazu gehört unter anderem die Gegenkopplung mit dem parallel liegenden KerKo.
Am 14.11.2005 um 21:00h ging der erste Kanal des Verstärkers über die 100 W an 8 Ohm. Der Lastwiderstand war
heiß. Vorab habe ich einige Bauteilkorrekturen an der Schaltung vorgenommen und vor allem die Bremsgitter verdrahtet,
die auf dem elrad-Schaltplan offen gelassen waren.
Parallel zu einigen anstehenden Holzarbeiten habe ich aus Birkenholz eine Zarge gebaut, in die von oben die Stahlplatte
eingelassen werden sollte und von unten ein Glasboden.
Jetzt ging es an die abschließenden mechanischen Arbeiten. Zarge fertig bauen, wo noch einige Ausschnitte für den
Netzanschluss und die 8 Ohm LS-Anschlüsse gefräst werden mussten. Vor dem Einbau der Komponenten habe ich die
Zarge geölt.
Im Betrieb - immer noch im Keller - zeigte sich, dass nach ca. 15 Minuten Betrieb einer der beiden Kanäle ein deutliches
50 Hz Brummen anfing. Grund dafür müssen irgendwelche kapazitiven Effekte zwischen der Schaltungsmasse und der
geerdeten Stahlplatte gewesen sein. Ich habe lokal im direkten Bereich der Vorstufe einen 150 Ω-Widerstand zwischen
Schaltungsmasse und Erde (Schrauböse unter dem Abstandshalter der Lötleiste) gelegt, der das Problem dauerhaft
abgestellt hat.
Den Glasboden habe ich beim Glaser machen lassen. Drahtglas und natürlich in Spiegelqualität. Erstens wegen der
EMV (grins) und zweitens wegen der Eitelkeit. Es ist so schön.
Abschließend habe ich den fertigen Verstärker, soweit es mir möglich ist, durchgemessen, wobei mir leider
die Möglichkeit fehlt den Klirrfaktor zu bestimmen. Sollte ich noch einmal Zugriff auf ein entsprechendes Messgerät
bekommen, würde ich die Daten nachliefern bzw. auf meiner Homepage veröffentlichen.
Sichtbare Verformungen der Sinussignale treten aber erst weit jenseits der 100 W Grenze auf und die Übertragung von
Rechteck und Dreiecksignalen sieht erstaunlich sauber aus, was auf akzeptable Gruppenlaufzeiten und entsprechend niedrige
Verzerrungen schließen lässt.
Anbei drei Oszillogramme mit Dreieckspannung, 1 kHz bei 20 Vpp Ausgangsspannung an einer 4 Ω Last. Die Flanken sind absolut
sauber.
Und Rechteckansteuerung einmal bei 1 kHz und knapp 1 W Ausgangsleistung an 4 Ω.
Sowie Rechteckansteuerung bei 10 kHz und rund 10 W Ausgangsleistung an 4 Ω. Hier sieht man an den deutlich verrundeten
Flanken, dass die Grenzfrequenz nicht unendlich ist.
Die Spannungsversorgung ist hochstabil, was ich über eine Belastung mit 1:20 Burstsignalen überprüft habe.
(0,5 W, 900 ms zu 10 W, 100 ms Ausgangsleistung).
Für die Aktionäre der EON noch den Gesamtstromverbrauch in Betrieb: 550 W für beide Kanäle.
Aufgrund des PPP-Prinzips ändert sich die Leistungsaufnahme bei Ansteuerung nicht signifikant.
Mittlerweile steht der Verstärker im Wohnzimmer, wird regelmäßig betrieben. Die Frau hat ihn akzeptiert,
weil er zum einen wunderbar klingt und zum anderen in Betrieb eine wohlige Wärme abstrahlt. Jetzt fehlt natürlich
eine adäquate Vorstufe.
Die alte ist zwar technisch einwandfrei und klingt phänomenal - aber sie ist halt mit Transistoren aufgebaut.
Ich hab da schon eine Designidee und wurde unlängst beim Durchwühlen der Röhrenbude nach einem Schaltplan
beobachtet...
Weitere Details zum Verstärker und zu seinem Nachfolgeprojekt finden sich auf meiner Homepage www.glasbodenamps.de.
Auf Anfrage an glasbodenams@gmx.de stelle ich natürlich auch gerne meinen Schaltplan sowie die CAD-Daten zur
Verfügung.