DENK MAL WIEDER!

VON TOM SCHLANGEN

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis
 1.  Eine ungewöhnliche Phasendreherschaltung
   1.1.  Die Eingangsstufe
   1.2.  Der Phasendreherteil
   1.3.  Prinzipielle Arbeitsweise eines Schmitt-Phasendrehers
   1.4.  Feinheiten der vorliegenden Umsetzung
   1.5.  Zusammenfassung und Wertung

1. Eine ungewöhnliche Phasendreherschaltung

Bei der Durchsicht meines Schaltungsarchivs fand ich eine Kopie eines Artikels aus einer französischen Elektronikzeitschrift1, in der wiederum ein weiterer Artikel aus einer amerikanischen Zeitschrift2 zusammengefasst wurde. Der französische Artikel war mit “Un Inverseur de Phase Amélioré” überschrieben, was ich mir so gerade eben noch mit “Ein verbesserter Phasendreher” übersetzen konnte.

Weiterhin stach mir in dem Artikel sofort das Schaltbild gemäß Abbildung 1.1 ins Auge, und ich versuchte nachzuvollziehen, was daran denn “verbessert” (laut Revue du Son) oder gar “neu” (laut Überschrift des Originalartikel von A. R. Bailey) sein soll.

Nicht zuletzt aufgrund der für uns Deutsche wohl eher ungewohnten französischen Zeichnungsmethodik erkannte ich im Originalschaltbild auf Anhieb nur eine ziemlich gewöhnliche Eingangsstufe zur Kleinspannungsverstärkung in Pentodenschaltung und dann, bezüglich dessen was auf diese Vorstufe folgt, erstmal nur “Bahnhof”, wobei für den Phasendreherteil aber sofort die Verwendung von zwei unterschiedlichen Röhrensystemen - eine Pentode und eine Triode - ins Auge fällt.


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Abbildung 1.1: Phasendreher nach A. R. Bailey



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Abbildung 1.2: Umzeichnung derselben Schaltung


Wie man sieht haben die Franzosen eine deutlich andere, um nicht zu sagen uns etwas eigenwillig anmutende Vorstellung davon, wie ein Schaltbild auszusehen hat. Ich habe daher das Schaltbild in Abbildung 1.2 etwas umgezeichnet, damit man einen besseren Überblick bekommt.

Aber selbst jetzt noch sieht das Schaltbild eher ungewöhnlich aus und so besteht der nächste Schritt darin, es erst einmal in seine funktionalen Haupteinheiten zu zerlegen, nämlich die Eingangsstufe und den eigentlichen Phasendreherteil, und diese einzeln durchzugehen.

1.1. Die Eingangsstufe.


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Abbildung 1.3: Die Eingangsstufe

Bei der Eingangsstufe, zu sehen in Abbildung 1.3, handelt es sich um eine ganz gewöhnliche Kleinsignalspannungsverstärkerstufe in Pentodenschaltung mit einer EF86, wie sie in unzähligen Tonfrequenzverstärkern zu finden ist. Es bleibt deshalb vorerst nur sehr wenig anzumerken:

Alles in Allem also eine recht konventionelle Kleinsignalverstärkerstufe mit der EF86 wie aus dem Datenblatt oder Lehrbuch.

1.2. Der Phasendreherteil.


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Abbildung 1.4: Der Phasendreherteil, etwas vereinfacht

Betrachten wir nun einmal den Phasendreher, welcher ebenfalls der Übersichtlichkeit halber aus dem Gesamtschaltbild extrahiert sowie etwas vereinfacht wurde und in Abbildung 1.4 dargestellt ist. Es fallen unmittelbar einige ungewöhnliche Details auf:

Die letzten beiden Punkte deuten zwar prinzipiell auf eine Phasendreherschaltung ähnlich dem so genannten “Long tail pair” hin, welches durch die Gegentaktverstärkerbauvorschläge der Firma Mullard populär wurde. Anderseits deuten andere Punkte auf eine erheblich vom “LTP” abweichende Arbeitsweise hin, so etwa die unterschiedlichen Röhrensysteme und Arbeitswiderstände sowie der ungewöhnlich kleine gemeinsame Kathodenwiderstand Rk. Schaut man sich etwas in der Literatur um, dann stellt man fest, dass die vorliegenden Charakteristika - bis auf die unterschiedlichen Röhrensysteme - dem so genannten Schmitt-Phasendreher4 entsprechen. Verfolgen wir diesen Pfad also einmal weiter.

1.3. Prinzipielle Arbeitsweise eines Schmitt-Phasendrehers.


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Abbildung 1.5: Prinzipschema eines Schmitt-Phasendrehers

Ein weiter vereinfachtes Prinzipschaltbild des Schmitt-Phasendrehers ist in Abbildung 1.5 wiedergegeben, die Ähnlichkeiten zur Mullard-Schaltung sind dabei nicht zu übersehen. Anders jedoch als die klassische Mullard-Schaltung versucht der Schmitt-Phasendreher gar nicht erst, eine möglichst gute Symmetrie der Ausgänge über möglichst identische Röhrensysteme, möglichst gleiche (ausgemessene) Anodenwiderstände und einen möglichst großen gemeinsamen Kathodenwiderstand, der idealerweise sogar eine Konstantstromsenke ausgeführt ist, herbei zu führen.

1.3.1. Funktionsweise. Zur Vereinfachung wird von gleichen Röhrensystemen für V 1 und V 2 ausgegangen. Das Eingangssystem V 1 arbeitet prinzipiell in Kathodenbasisschaltung mit einem aufgeteilten und nicht überbrückten Kathodenwiderstand, wobei der obere, kleinere Teilwiderstand des Kathodenwiderstandes, RkA, zur automatischen Gittervorspannung dient und der untere, größere Teilwiderstand RkB als zusätzlicher Kathodenarbeitswiderstand (Kathodenfolgerfunktion) ausgeführt ist. Damit steht an der Kathode von V 1 ein sehr niederohmiger, nicht invertierender Signalausgang zur Verfügung, welcher die ebenfalls niederohmige Kathode des in Gitterbasisschaltung mit wechselspannungsmäßig geerdetem Steuergitter arbeitenden Röhrensystems V 2 treibt.

Da die Gitterbasisschaltung um V 2 nicht invertierend ist, steht somit an der Anode von V 2 gleichphasig das verstärke Eingangssignal zur Verfügung (nicht invertierender Ausgang der Schaltung) und an der Anode von V 1 das durch die Kathodenbasisschaltung invertiertes und verstärke Eingangssignal (invertierender Ausgang der Schaltung).

Noch einmal zurück zur ersten Stufe. Der Stufenverstärkungsfaktor eines Kathodenfolgers, in diesem Fall gebildet mit V 1, RkA und RkB, ist immer kleiner 1, folglich ist das V 2 an der Kathode der Gitterbasisschaltung treibende Signal ebenfalls zwangsläufig kleiner als das am Steuergitter von V 1 anliegende Eingangssignal. Da der gemeinsame, nicht überbrückte Kathodenwiderstand RkB nun ganz bewusst relativ klein dimensioniert ist - typischerweise lediglich ein Viertel bis ein Drittel des Wertes des Arbeitswiderstandes des Eingangssystems - ist das Kathodenausgangssignal des Systems V 1 sogar deutlich kleiner als das Eingangssignal am Steuergitter von V 1.

Die daraus zwangsläufig resultierende Unsymmetrie der Ausgangsspannungen an den Anoden von V 1 und V 2 muss also ausgeglichen werden und dies erfolgt durch bewusst unterschiedlich groß dimensionierte Anodenwiderstände RaV 1 und RaV 2, wobei RaV 2 bei gleichen Röhrensystemen größer als RaV 1 zu wählen ist um eine höhere Spannungsverstärkung über das System V 2 zu erhalten.

1.3.2. Vor- und Nachteile. Man fragt sich natürlich, welche Vorteile der Schmitt-Phasendreher eigentlich gegenüber dem ähnlichen, aber gleich auf möglichst gute Symmetrie gezüchteten LTP bzw. der Mullard-Schaltung bietet. Nun, diese sind schnell aufgezählt: Da beim Schmitt-Inverter der gemeinsame Kathodenwiderstand Rk im Vergleich zur Standard-Mullard-Schaltung5 bewusst klein gewählt ist, fällt über diesen auch nur vergleichsweise wenig (Betriebs-) Spannung ab. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass beim Schmitt-Inverter mehr Spannung über die Röhrensysteme und Anodenwiderstände zur Verfügung steht als bei der Mullard-Schaltung, und ergo bei gleicher Versorgungsspannung Ub eine höhere unverzerrte Ausgangsspannung und gegebenenfalls auch höhere Stufenverstärkung als bei der Mullard-Schaltung möglich ist.

Dem steht negativ gegenüber, dass die korrekte Dimensionierung des Schmitt-Inverters geringfügig komplizierter ist und dass die beiden Ausgänge aufgrund der unterschiedlich großen Anodenwiderstände notwendigerweise auch unterschiedliche Ausgangsimpedanzen aufweisen. Letzteres ist gegebenenfalls genauso im Gesamtkonzept einer Verstärkerschaltung zu berücksichtigen wie auch bei der Verwendung anderer Phasendreherschaltungen mit unterschiedlicher Ausgangsimpedanz6 an den Ausgängen.

1.4. Feinheiten der vorliegenden Umsetzung.


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Abbildung 1.6: Schmitt-Inverter nach Bailey

Schauen wir uns nun die konkrete Auslegung gemäß der Schaltung von Herrn Bailey an, nochmals wiedergegeben in Abbildung 1.6, und sehen sie nach speziellen Feinheiten durch.

Der wohl auffälligste Punkt ist die Verwendung unterschiedlicher Röhrensysteme in der Schaltung nach Bailey. Der wesentliche Grund der Verwendung einer Pentode als Eingangssystem des Phasendrehers ist deren extrem geringe Eingangs- beziehungsweise Millerkapazität, welche selbst mit Vorstufen recht hoher Ausgangsimpedanz eine sehr hohe Bandbreite garantiert.

Damit wird übrigens ein Hauptproblem der Mullard-Schaltung umgangen, welche ebenfalls wie die Bailey-Schaltung eine Pentode vor dem eigentlichen Phasendreher einsetzt, die aber die Millerkapazität der darauf folgenden ECC83 im LTP zu treiben hat, welche bei einem angenommenen Stufenverstärkungsfaktor des LTP von etwa A = 30 gut und gerne 50pF und mehr beträgt.

Nun ist der Innenwiderstand einer Pentode in der Regel sehr viel größer als der einer Triode, ebenso der Spannungsverstärkungsfaktor und leider auch der Klirrfaktor. Bailey greift nun auf verschiedene Schaltungskniffe zurück, um die gewünscht niedrige Millerkapazität der Pentode zu erhalten, aber gleichzeitig Verstärkungsfaktor, Ausgangsimpedanz und Klirrfaktor abzusenken und damit an die Parameter der Triodensektion V 1A der ECF82 anzupassen:

Alles in Allem wird die Pentode im Phasendreher durch diese Maßnahmen an ein triodenähnliches Verhalten hinsichtlich Klirr, Ausgangsimpedanz und Stufenverstärkung angenähert, wobei aber gleichzeitig der Vorteil der extrem geringen Eingangskapazität der Pentodenschaltung erhalten bleibt.

Ein weiterer beachtenswerter Punkt ist die Schirmgitterspannungsversorgung der Pentode, welche nicht wie meistens üblich lediglich über einen simplen Vorwiderstand und Blockungskondensator erfolgt, sondern durch einen regelrechten Spannungsteiler bestehend aus den Widerständen R10 und R11 in Abbildung 1.2, dimensioniert zu je 33 kΩ, also mit recht hohem Querstrom. Diese Widerstände halten das Schirmgitter starr auf 12 der Versorgungsspannung Ub, welche laut Originalschaltbild ja zwischen 200 und 400 Volt betragen darf. Durch diese Maßnahme wird sicher gestellt, dass die Pentode über den doch sehr weiten zulässigen Versorgungsspannungsbereich immer in einem günstigen Kennlinienfeld betrieben wird, was mit einen einzelnen, simplen Vorwiderstand wohl nicht erreichbar wäre.

Als letzter Punkt soll noch erwähnt werden, dass die konkrete Schaltungsauslegung gemäß Abbildung 1.6 von der zuvor gezeigten Prinzipschaltung eines Schmitt-Phasendrehers nach Abbildung 1.5 insofern abweicht, als dass die Gittervorspannungserzeugung der beiden Systeme der ECF82 nicht wie im Prinzipschaltbild vollautomatisch über einen geteilten Kathodenwiderstand erzeugt wird, sondern halbautomatisch mit einer zusätzlichen Gleichspannungskomponente, welche von der Anode der vorher gehenden Stufe abgenommen wird. Dies trägt zusätzlich zur weiteren Stabilisierung des eigentlichen Phasendreherteils der Schaltung über einen weiten Versorgungspannungsbereich bei.

1.5. Zusammenfassung und Wertung. Die vorliegende Schaltung nach Herrn Bailey ist sicherlich nicht gerade einfach und unkompliziert zu nennen, hat aber gegenüber der klassischen Mullard-Schaltung (EF86, ECC83 im LTP) die anhand der Schaltungsanalyse nachvollziehbaren Vorteile:

Besonders die ersteren beiden angeführten Punkte ermöglichen bei praktisch unveränderter Schaltung den Einsatz derselben vor so leistungsmäßig wie versorgungspannungsmäßig unterschiedlichen Endröhren wie EL84 am unteren Ende bis hin zur KT88 am oberen Ende.

Es wundert daher nicht, dass eben diese besprochene Schaltung als fast unverändertes Modul in etlichen Verstärkern der unterschiedlichsten Leistungsklassen des renommierten Herstellers Radford zu finden ist. Möglicherweise hat A.R.-Bailey diese Schaltung für Radford entworfen, oder sogar direkt bei Radford gearbeitet.

(Tom Schlangen, im März 2008)