PP-Verstärker nur mit Eisen, Draht und Röhre
von Frank Bloehbaum
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Dieser Verstärker ohne Kondensatoren und (fast) ohne Widerstand war das Abschiedsgeschenk für einen in Rente
gehenden Arbeitskollegen - ein alter Röhren- und Radio-Freak, der unter anderem auch mal bei Saba in den glorreichen
50igern in der Entwicklung gearbeitet hatte. So einem alten Hasen muss man schon mit etwas Besonderem kommen, um ihn zu
überraschen. So erhebt dieser Verstärker ganz sicher nicht den Anspruch, die ultimative Lösung für alle
audiophilen Probleme zu sein - aber er ist ein schöner Spass und man kann damit grossartig Musik hören.
Die Grundidee eines Verstärkers ganz ohne R und C stammt von Steve Bench. Ich habe aber einige Modifikationen
vorgenommen, die die Betriebssicherheit deutlich erhöhen.
Die Schaltungstechnik des eigentlichen Verstärkers ist ein Gegentakt-A-Verstärker und eine Erinnerung an die
20iger-Jahre des letzten Jahrhunderts (und somit genau das richtige für einen Uralt-Radio Sammler ;-)) : Trafokopplung
und extrem minimalistischer Aufbau, siehe Bild 1. Damals gab es noch keine Elkos, somit waren kapazitiv überbrückte
Kathoden-Widerstände unbekannt.
Das Eingangssignal wird über das Potentiometer R1 an das Gitter der Vorröhre Xtr10 gelegt.
Das Potentiometer ist der einzige Widerstand im ganzen Gerät und ein Kompromiss. Für NoR-NoC-Puristen käme
hier alternativ eine Art Stelltrafo in Frage: eine Drossel mit mindestens 100 H und mindestens 24 Abgriffen nebst
Stufenschalter. Das wäre allerdings ein erheblicher Aufwand und eine solche Drossel ist auch eine höchst
empfindliche Brumm-Antenne...
Zurück zur Schaltung. Das Kathodenpotential wird mit Hilfe der Anoden-Kathodenstrecke der 6Z5S (Xtr13) erzeugt. Im
Anodenkreis der 6N6P (Xtr10) setzt der Zwischenübertrager Tr2 das unsymmetrische Signal in ein symmetrisches um. Beide
Sekundärwicklungen speisen direkt je eine Triode der 6N30P-DR (Xtr11). Die Kathoden der 6N30P-DR sind zusammengeschaltet
und werden von der zweiten Anoden-Kathodenstrecke der 6Z5S (Xtr13) gespeist. Die Kennlinie der 6Z5S passt perfekt zum
gewünschten Arbeitspunkt der 6N30P-DR. Bei der verwendeten Anodenspannung von ca. 227 V stellt sich ein Kathodenpotential
von ca. 13 V und ein Anodenstrom pro Triode von ca. 19 mA ein. Das ergibt ziemlich genau die maximal erlaubten 4 W
Verlustleistung pro Triode. Der Gegentakt-Ausgangstrafo sollte einen Raa von ca. 16 kOhm an 8 Ohm anpassen.
Um den Verstärker mit einem Standard-Übertrager zu realisieren, habe ich hier auf den Typ 53.17 von Gerd Reinhöfer
zurückgegriffen. Dieser wurde zunächst für 8 kOhm : 4 Ohm entwickelt (PP mit ECL 86). Er hat aber eine sehr
hohe Primärinduktivität und funktioniert somit problemlos als 16 kOhm : 8 Ohm Übertrager. Der
Zwischenübertrager ist ein LL 1660/10 von Lundahl. Dieser erfordert eine Treiberröhre mit möglichst geringem
Innenwiderstand. Meine Wahl fiel deshalb auf die 6N6P. Diese hat die Parameter u = 20, S = 11,0 mA/V, Ri = 1,8 kOhm und eine
schöne lineare Kennlinie. Als untere Grenzfrequenz (-3 dB) habe ich mit der 6N6P 24 Hz erreicht. Die Verwendung z.B.
der ECC 88 hat durch den grösseren Innenwiderstand sofort einen Verlust im Bass und Grundtonbereich zur Folge. Die
Gesamtverstärkung bei Verwendung der 6N6P ist für den vorgesehenen Betrieb mit CD-Player mehr als ausreichend.
Dieser Verstärker wird von einem ungewöhnlichen Netzteil gespeist, dass ganz ohne Rs und Cs auskommt, siehe
Bild 2.
Die Struktur des Netzteiles ist einfach:
- Mittelpunktgleichrichter mit 5Z3S (Xtr1)
- Erste Drossel L1 : Filter und Energiespeicher
- Parallelregler mit GU50 (Xtr2) und Referenzstrecke Xtr5 und Xtr6
- Zweite Drossel L2 : weiterer Filter und Energiespeicher
- Zweiter Parallelregler mit 6V6 (Xtr3) und Referenzstrecke Xtr7 und Xtr8
- Weiterer Filterzweig für die Betriebsspannung der Vorstufe mit Stromquelle GU15 (Xtr4)
und Spannungsstabilisator Xtr9
Als Gedankenmodell wäre eine einzige Drossel mit unendlich hoher Induktivität (bei geringem DC-Widerstand) als
Filter die perfekte Lösung. Am Ausgang könnte man einen Batterie-glatten Gleichstrom entnehmen. In der
Realität ist die 100 Hz-Restwelligkeit am Knotenpunkt L1 / L2 / Anode Xtr2 noch sehr gross. Hier greift dann der erste
Parallelregler mit der GU 50 ein. Die GU 50 ist ungewöhnlich beschaltet: Steuer- und Schirmgitter sind parallel
geschaltet. Der Regelkreis ist minimalistisch: steigt das Anodenpotential an, steigt über die konstante
Referenzspannungsstrecke Xtr5 und Xtr6 auch die (positive!) Differenzspannung g1/g2 - Kathode. Dadurch fliesst mehr
Anodenstrom, der wiederum über die Innenwiderstände von L1, Xtr1 und Tr1 einen Spannungsabfall hervorruft und
damit der Anodenspannungserhöhung entgegenwirkt. Eine Differenzspannungsschwankung zwischen g1/g2 und Kathode soll also
eine möglichst grosse Anodenstromänderung hervorrufen, um die 100 Hz-Restwelligkeit möglichst gut auszuregeln.
Das bedeutet nichts anderes, als möglichst viele mA Anodenstrom pro Volt Gitter-Kathodenspannung, also eine möglichst
hohe Steilheit.
Diese hohe Steilheit wird nun gerade durch die Parallelschaltung von Steuer- und Schirmgitter erreicht. An der Anode von
Xtr2 stellt sich eine mittlere Spannung von ca. 275 V ein. Der zweite kaskadierte Parallelregler mit L2 und Xtr3 funktioniert
genauso. An der Anode von Xtr3 wird die Betriebsspannung für die Endstufe in Höhe von ca. 235 V abgenommen.
Die Restwelligkeit beträgt 550 mVss bzw. 195 mVeff.
Xtr4 funktioniert als (recht schlechte) Stromquelle für die Stabiröhre Xtr9. An der Kathode von Xtr4 wird die
Betriebsspannung für die Vorstufe entnommen. Diese beträgt im Gerät ca. 107 V bei einer Restwelligkeit von
48 mVss bzw. 17 mVeff.
Warum wurde für Xtr4 die GU 15 eingesetzt? Ein Problem der Schaltung von Steve Bench ist die problematische Zündung
der Stabiröhren der zweiten Reglerkaskade. Die von mir verwendete 75 V-Röhre hat z.B. eine gemessene
Zündspannung von ca. 114 V. Nach längerer Laufzeit und im abgedunkelten Raum wird sich diese Zündspannung
weiter erhöhen, so dass eine zuverlässige Zündung der Stabiröhren Xtr7 und Xtr8 kritisch wird - es gibt
ja keinen C und damit auch kein grosses Hochlaufen der Betriebsspannung, insbesondere dadurch nicht, da der erste Regler die
verfügbare Spannung stark begrenzt.
Der Trick: Die Gleichrichterröhre 5Z3S und die GU 15 sind direkt geheizte Röhren. Nach dem Einschalten sind diese
Röhren nach ca. 5 s betriebsbereit, während die Last - der eigentliche Verstärker - und die Reglerkaskade
noch "schläft" und dank indirekt geheizter Röhren erst langsam hochfährt. Die zunächst nur
kaum gefilterte Hochspannung bewirkt nun ein sehr zuverlässiges Zünden von Xtr7 (=> Schirmgitterstrom der GU 15)
und Xtr9 (Kathodenstrom der GU 15). Da Xtr7 bereits gezündet ist, wenn Xtr3 hochheizt, steht genug Spannungshub zur
Verfügung, um auch Xtr8 zu zünden. Natürlich benötigt man für die GU 15 eine eigene Heizwicklung.
Praktischerweise hat die GU 15 eine herausgeführte Mittelanzapfung des Heizfadens, so dass es keine Symmetrieprobleme
gibt.
Alle Regler- und Stabiröhren werden deutlich unterhalb ihrer Limits betrieben, die GU 15 langweilt sich regelrecht. Die
GU 50 läuft mit ca. 23 W Anodenverlustleistung, die 6V6 mit ca. 8,8 W. Die reichliche Dimensionierung und das
völlige Fehlen der Elkos führt zu einer sehr hohen Betriebssicherheit.
Wie klingt dieser Verstärker?
Klangbeschreibungen sind immer so eine Sache. Aber auffällig ist die überraschende Klarheit und Transparenz der
Wiedergabe. In dieser Hinsicht schlägt dieser Verstärker überraschenderweise auch meinen 300B-Verstärker
(und der ist nicht schlecht...). Sicher ist das auch eine Folge des äusserst minimalistischen Konzeptes.
Nachdem ich den Aufbau des Lundahl LL 1660 gesehen hatte, war ich doch sehr skeptisch, ob da wirklich etwas hörtaugliches
rüberkommt. Aber vielleicht auch dank der Ansteuerung mit der 6N6P ist der Frequenzbereich fast tadellos. Und, die
nächste Überraschung ist, wie laut man mit nur 3,5 Weff Musik hören kann...
Hier noch ein paar der gemessenen Daten:
Ausgangsleistung pro Kanal: 3,5 Weff an 8 Ohm
Frequenzbereich: 24 Hz - 22 kHz (-3dB)
Klirrfaktor bei 2 Weff an 8 Ohm:
- k2 4%
- k3 1%
- k4 0,1%
- k5 0,03%
-> ab k6 keine Verzerrung mehr messbar.
Rausch- und Brummabstand bei 1W eff an 8 Ohm und f = 20 Hz - 20 kHz ca. -60 dB
Rauschen ist bei diesem Verstärker kein Thema, das (Rest-)Brummen ist hörbar, wenn man direkt vor der
Lautsprecherbox steht. Aufbau und Verkabelung des Verstärkers erfolgten unter hohem Zeitdruck in nur 2 Tagen. So kann
der Brummabstand sicher noch weiter verbessert werden, z.B. durch eine optimierte Leitungsführung oder eine Kapselung
der Zwischenübertrager.
Die Drosseln und die Ausgangsübertrager sind Standardbauteile von Gerd Reinhöfer, der Netztrafo ist eine
Sonderanfertigung und ebenfalls von ihm. Die Qualität der von Gerd gelieferten Bauteile ist sehr gut.
Alle Bauteile wurden auf einer 3 mm dicken Aluplatte montiert, die wiederum auf einem Holzrahmen ruht. Der Holzrahmen des
Gehäuses ist eine Quick-and-Dirty Lösung, die in nur einem Tag entstand.
Die sehr guten Wiedergabeeigenschaften dieses Verstärkers haben ein grösseres Interesse geweckt, als ich für
möglich hielt. So werde ich wohl noch einige Exemplare dieses Verstärkers aufbauen, die dann auch einen richtig
schön furnierten Holzrahmen bekommen werden.
Abschliessend bleibt noch festzuhalten, dass das Abschiedsgeschenk ein Volltreffer war...
© Frank Blöhbaum
28.06.2003
Es folgen die Fotos zu diesem Verstärker:
Blick von oben auf das Chassis von links nach rechts:
2. Siebdrossel; 1. Siebdrossel; Netztrafo; Ausgangsübertrager linker und rechter Kanal
Unter dem Chassis (links unten) befinden sich die beiden Lundahl Interstage-Trafos. Es ist eine Gegentakt-A-Endstufe - und
trotzdem sind es inklusive Eingangspoti nur 8 Bauteile pro Kanal : 3 Trioden, 2 Trafos, 2 Röhrendioden, 1 Poti.
Die folgende Verstärker-Detailansicht zeigt jetzt die 6N6P (die Gesamtansicht zeigt noch den Versuch mit der ECC88) :
Sämtliche Fotos © Frank Blöhbaum
28.06.2003